MANNSCHAFT fährt über 1.000 Kilometer zwischen Basalt und brecheranlagen
Noch 15 Stunden und drei Minuten
Wer Jan-Philipp Alhäuser beruflich begegnet, der erlebt ihn zumeist in grellen Neon-Farben. Der Betriebsleiter der „Westerwälder Holzwerke“ (WWHW) ist häufig in den Sägewerken des Unternehmens oder auf dem dortigen Rundholzplatz unterwegs, darum trägt er orange-gelbe Warnkleidung. Im Stöffel-Park in Enspel jedoch ist der Westerwälder an diesem Nachmittag ganz in Schwarz und Grün gehüllt – die Farben des Trikots der „MANNschaft e. V.“. Aus diesem vom WWHW-Schwesterunternehmen „MANN Naturenergie“ gesponserten Verein zur Förderung des Ausdauersports sind acht Aktive am Start der diesjährigen „Stöffel-Race 24H MTB Challenge“.
Die „MANNschaft“ hat ihre Zelte zwischen alten Brecheranlagen aufgeschlagen.
Im vorigen Jahrhundert, als im Steinbruch „Stöffel“ fleißig Basalt abgebaut und verarbeitet wurde, da fuhren mit dem Gestein beladene Loren den „Bremsberg“ hinunter zur Bahnverladung am Fuß dieser steilen Rampe, auf der sie abgebremst werden mussten (und zogen dabei, die Physik ausnutzend, zugleich leere Wagen wieder hinauf). Doch jetzt ist der etwa 50 Meter lange Anstieg ein besonders „giftiger“ Abschnitt kurz vor der Zieldurchfahrt des circa vier Kilometer langen Rundkurses beim „Stöffel-Race“. So steil, dass später, am Abend, wenn alle schon einige Runden in den Beinen haben, mancher vom Rad springen und hinauf schieben wird.
Das Rennen findet zum 13. Mal auf dem Gelände des einstigen Basaltwerkes statt, in dem heute der „Stöffel-Park“ eingerichtet worden ist. Dieser Tertiär- und Industrie-Erlebnispark ist Teil des Geoparks Westerwald-Lahn-Taunus. Besucher erleben dort imposante Industriegebäude und -anlagen, Hinterlassenschaften der den Basalt abbauenden Firma Adrian aus dem 20. Jahrhundert.
Daniel Rahn saust durch die Historische Werkstatt. Fotos: Schmalenbach
Im umgebenden, 140 Hektar großen Areal, durch das sich länger als 100 Jahre lang die Bagger gefressen haben und heute die MTB-Strecke führt, hat sich seit dem letzten Produktionstag im Dezember 2003 die Natur ihr Terrain in weiten Teilen zurückerobert. An den Abbruchhalden tummeln sich Pionierpflanzen wie Natternkopf und Nachtkerze, daneben sprießen junge Birken. Ein origineller Steinbruch-Erlebnisgarten in dieser unwirklichen Kulisse ist ebenso ein Highlight wie Kunstwerke von einem Dutzend Bildhauern, deren Werke Wege säumen. Im in den Park integrierten Erlebnismuseum „Tertiärum“ wird deutlich, wie die Tier- und Pflanzenwelt in der Region vor 25 Millionen Jahren aussah.
Doch für solcherlei Attraktionen haben die acht Sportler der „MANNschaft“ heute verständlicherweise keinen Sinn. Zwei von ihnen sind als Einzelfahrer ins „Stöffel-Race“ gestartet, die anderen sechs messen sich in der Kategorie Sechser-Staffel. Dabei wird ein elektronischer Transponder von Fahrer zu Fahrer weitergegeben, mit dessen Hilfe jede Runde gezählt wird, die das Team vollendet. Zum Schluss gewinnt die Gruppe, die in den 24 Stunden von 12 Uhr am Samstag bis zum Mittag am Folgetag die meisten Runden geschafft hat.
Dass die „MANNschaft“ bei dem Event in Enspel im Oberwesterwald antritt, hat eine besondere Bedeutung. Denn ihr Hauptsponsor, die Firmengruppe MANN, hat eine ausgesprochen enge Verbindung zum „Stöffel-Park“: In diesem wird mit Westerwälder Holzpellets geheizt. Und bei der Anschaffung der zugehörigen Heizanlage, die 2006 im Keller der Historischen Werkstatt untergebracht wurde, hat das Unternehmen gleichermaßen geholfen.
Geheizt wird im Stöffel-Park mit Westerwälder Holzpellets.
Genauso engagierte sich Firmenchef Markus Mann, als der Stöffelverein die Original-Dampfmaschine „Romeo“ erwarb, die ihrerseits im Park zu sehen ist und an denen die Sportler beim „Stöffel-Race“ auch entlangfahren. Der Stöffel-Park war zudem die Bühne, auf der die zu MANN gehörenden seinerzeitigen „Westerwälder Holzpellets“ den „Futuricum“, ihren ersten vollelektrischen Pellet-Lkw, der Weltöffentlichkeit vorstellten. Und beim „Wäller Gartenpreis“, der bereits zweimal in der Alten Werkstatt des Parks verliehen wurde, bringt sich Markus Mann ehrenamtlich als Jurymitglied und Baum-Stifter ein.
Damit nicht genug: Vor exakt zehn Jahren entstand die Mountainbike-Abteilung der „MANNschaft“ quasi aus der Teilnahme an dem damaligen Event im Stöffel-Park. 2025 ist der Verein erstmals wieder bei dem Rennen in seiner Heimat dabei. Außerdem sind mit dem besagten Jan-Philipp Alhäuser sowie Daniel Rahn zwei MANN-Mitarbeiter im 6er-MTB-Team vertreten.
Letzterer absolviert gerade seine siebte Runde auf der Rennstrecke und donnert just über die Gummimatten, mit denen das Kopfsteinpflaster und ein Schienenstrang in der Historischen Werkstatt für das Rennen abgedeckt worden sind. Das grobe Profil der MTB-Reifen dröhnt auf dem Belag.




So wie bei dieser Passage oder am bereits erwähnten Bremsberg bietet das „Stöffel-Race“ eine insgesamt faszinierende Streckenführung: Mal geht es am „Stöffel-See“ vorbei, dann über festen Basaltboden, ehe dickere Gesteinsbrocken folgen. Dann wieder steht eine Waldabfahrt an oder der Kurs führt unter alten Förderbändern hindurch. Fast 100 Höhenmeter auf nur vier Kilometern – die Runde für Runde bewältigt werden müssen! – machen den Kurs konditionell anspruchsvoll.
„Die Strecke ist in diesem Jahr gegenüber früheren Austragungen etwas umgebaut worden“, schildert Jan-Philipp Alhäuser, der zum ersten Mal beim „Stöffel-Race“ fährt. „Wir dürfen jetzt sogar durch den aktiven Teil des Steinbruchs.“
Zu Beginn des Wettbewerbs sei die Strecke abschnittweise recht grob und schwierig zu meistern gewesen, weil unterwegs viel Geröll, Schotter herumliegt, beschreibt Alhäuser. Doch nach den ersten Runden der späteren 197 Finisher, die die Ergebnisliste aufführen wird, bilden sich Fahrspuren, was auch technisch nicht so geübten Sportlern das Vorankommen erleichtert, mehr Grip bietet.
Die „MANNschaft“ wählt im 6er-Team zunächst einen Rhythmus, bei dem jeder Sportler zwei Runden in Folge absolviert, ehe der nächste an der Reihe ist und den Transponder übernimmt. Nachts stellen die Westerwälder das System um, jeder fährt vier Runden am Stück, so dass die Pausierenden sich zwischen ihren Einsätzen länger erholen können.
Apropos erholen: Pierre Joswig legt, um 21 Uhr, seine erste längere Ruhepause ein. Bereits ein wenig abgekämpft – es liegen schon 24 Runden hinter ihm –, hat der Einzelstarter mit dem MANN-Logo auf dem Trikot es sich auf einer Pritsche im Fahrerlager bequem gemacht. Seine Unterschenkel sind mit einer dicken Schicht schwarz-grauen Basaltstaubs bedeckt.
Erste Pause für Pierre Joswig (rechts)!
Pierre ist ein wahrhaft fröhlicher Geselle und auf eine sympathische Art „sportverrückt“: Er hat diverse Feuerwehrsportwettbewerbe auf sich genommen, unter anderem beim „Megamarsch“ trat er an und lief 100 Kilometer in kompletter Montur eines Wehrmanns samt Atemluftflasche auf dem Rücken. „Deswegen habe ich mir überlegt, ich kann hier auch mit so’m Rad starten, quasi als Extra-Challenge“, lacht er laut. „Mein Rad ist das schlechteste Fahrrad auf dem Platz, das habe ich mir eigentlich nur geholt, um mit meinem Sohn ein bisschen im Wald herumzufahren. Aber da der Stöffel-Park gerade einmal 15 Kilometer von meinem Wohnort Krümmel entfernt ist, habe ich gedacht, kann ich mich auch mal hier anmelden!“
In der „MANNschaft“ ist Pierre Joswig sonst eigentlich als Triathlet dabei. Für den „Ironman“ 2026 ist er bereits registriert. Im September vergangenen Jahres stieß er zu der Gruppe, wie er berichtet: „Im Frühjahr ging mein altes Vintage-Rennrad kaputt. Daraufhin habe ich mir als Jobbike über meine Arbeit ein ordentliches Rennrad zugelegt“, erzählt er. „Dann startete mein Sohn, er wird jetzt zehn, bei ‚Ironkids‘. Ich dachte mir, da muss ich mal nachlegen… Anschließend bin ich mit ihm beim Zwölf-Stunden-Schwimmen in Herschbach gewesen. Dort bin ich in Kontakt mit der ‚MANNschaft‘ gekommen. Da habe ich mir überlegt: Wenn ich jetzt nicht da eintrete, wann dann? Ich werde ja auch nicht jünger…“
Im vergangenen Jahr hatte sich Pierre Joswig den „Stöffel-Park“ noch gemeinsam mit seinem Sohn angeschaut. „Da wusste ich also vorher schon, dass es hier sehr steil hoch und runter geht. Aber mit dem Fahrrad immer wieder die Höhenmeter – das ist etwas ganz anderes, als wenn man einmal hier herumspaziert“, zwinkert Pierre.
Unterstützung für Einzelfahrer: Pierre Rückert-Hohs reicht Christopher Schneider eine neue Trinkflasche.
Auch Pierre Rückert-Hohs, er ist Mitglied im 6er-Team, hat gerade Pause. Die nutzt er, um den zweiten Einzelstarter der „MANNschaft“, Christopher Schneider, zu unterstützen: Zwischen Bremsberg und Zieleinlaufbogen reicht er ihm eine neue Trinkflasche an, damit sein Kamerad gar nicht erst stoppen muss. „Und den Pierre Joswig, unseren zweiten Einzelstarter, supporten wir auch“, sagt Rückert-Hohs.
Dem Namensvetter repariert Rückert-Hohs im Laufe des 24-Stunden-Rennens mehrmals das Rad – glücklicherweise ist er beruflich als Zweiradmechaniker tätig und kann darum super weiterhelfen, wenn das 20 Kilo schwere „Zündapp“ nicht mehr recht will.
Darüber hinaus jedoch wird die „MANNschaft“ am Ende der 24 Stunden erfreulicherweise keinen einzigen Defekt zu beklagen haben, obwohl mit 105 Runden im 6er-Team und 93 sowie 56 bei den beiden Einzelfahrern insgesamt über 1.000 Kilometer zwischen den Basaltbrocken und Industriedenkmälern zusammengestrampelt werden.
Durch die modifizierte Strecke sind die „MANNschaft“ und alle anderen Teilnehmer in diesem Jahr auch in der Kulisse des aktiven Steinbruchs unterwegs.
„Die Strecke ist anspruchsvoll“, urteilt auch Rückert-Hohs, „es sind halt viele Höhenmeter drin auf der kurzen Distanz.“ Dass die „MANNschaft“ teilnimmt, hat nach seiner Darstellung noch einen weiteren Grund neben der speziellen Beziehung des Vereins und seines Sponsors zum Stöffel-Park: „Wir ‚mussten‘ ja dieses Jahr noch irgendein 24-Stunden-Rennen fahren; das war uns wichtig“, schmunzelt Pierre Rückert-Hohs. „Auf dem Nürburgring bei ‚Rad am Ring‘ haben wir keinen Startplatz bekommen.“ Dort war die „MANNschaft“ 2023 und 2024 mit 22 beziehungsweise 13 Sportlern vertreten (siehe auch https://www.diemannschaft.org/rad-am-ring-2023).
Spektakuläre Abfahrt an der „Basaltbühne“.
Als allmählich die Dämmerung über stillgelegten Brecheranlagen und rostigen Förderbändern hereinbricht, zeigen die großen roten LED-Ziffern auf der offiziellen Zeitnahmeuhr an der Zieldurchfahrt noch 15 Stunden und drei Minuten Restrennzeit an. Bisher läuft es gut für die „MANNschaft“, sie liegt auf dem zweiten Platz in der Gesamtwertung der 6er-Teams. Dennis Pauschert ist der nächste, der auf die Strecke geht. Er steht wartend in der Wechselzone und übernimmt kurz darauf den Transponder des ankommenden Pascal Meyers.
Mitternacht, inzwischen ist es richtig dunkel. Unzählige Fledermäuse sausen nun über den Köpfen der Sportler zwischen Birken und Industrieanlagen umher auf der Jagd nach Nahrung. Immer wieder blitzen wegen der Unebenheiten des Untergrunds stark zappelnde Lichtkegel der Lampen auf, die die Sportler auf ihren Helmen und an ihren Bikes befestigt haben. Es sieht schon spektakulär aus, wenn die Waghalsigsten unter ihnen die steile Schussfahrt neben der Basaltbühne nahezu ohne zu bremsen hinunterdonnern, haarscharf vorbei an einem mit einem Strohballen abgepolsterten, rostigen Metallpfeiler – ehe sie vor einer 180-Grad-Kehre mit zum Teil blockierenden Rädern scharf abbremsen müssen, um die Einfahrt in die Historische Werkstatt zu schaffen.
Die Nacht hüllt das Fahrerlager mehr und mehr in Dunkelheit.
Weniger rasant, doch dafür emotional umso mitreißender geht es unterdessen am Bremsberg zu. Ihn haben die Organisatoren für die Nacht zum Teil in grünes und rosa Licht gehüllt, und soweit man bei dieser Beleuchtung die Gesichtsausdrücke überhaupt noch erkennen kann, haben mehr und mehr MTB-Fahrer wirklich zu kämpfen, wenn sie sich den Anstieg im Schein der Lampen das x-te Mal hinaufquälen…
Gerade kommt Pierre Joswig abermals oben an. Mag sein „Zündapp“ auch schwer, technisch vom Niveau der meisten Räder hier weit entfernt sein – etliche darunter sind viele tausend Euro teuer: Er wird ebenso finishen wie seine Kameraden der „MANNschaft“ und mit 56 Runden immerhin auf den 14. Platz der Einzelwertung der Männer fahren.
In dieser Rangliste findet sich Christopher Schneider schlussendlich ganz weit oben: Platz 2 für den zweiten Einzelstarter des mit MANN verbundenen Vereins! Nach genau 24 Stunden und 13 Sekunden Rennzeit rollt er zum 93. Mal unter dem roten Zieleinlaufbogen durch.
…wobei: So ganz stimmt diese Darstellung nicht. Denn eine halbe Stunde vor dem Schluss des Wettbewerbs wirft eine starke Windböe den Bogen um. Er muss daraufhin weggeräumt werden. Auch ein Zelt der Standnachbarn der „MANNschaft“ im Fahrerlager wird zerfetzt, während das schwarz-grüne Team zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise schon alles sicher auf einem Fahrzeug verstaut hat.
Am Bremsberg ist für manche „Ende“.
Da sich das Wetter „pünktlich“ zum Endes des Rennens so verschlechtert, findet die Siegerehrung bei deutlich abgekühlten Temperaturen im Regen statt. Aber wen stört das schon wirklich, wenn man es geschafft hat, 24 Stunden lang auf dem Rad zu sein, losen Gesteinsbrocken und dichtem Basaltstaub zu trotzen, sich auf technisch anspruchsvolle Abschnitte zu konzentrieren und als Team beachtliche 105 Durchgänge auf der Rennstrecke zusammenzubekommen, aufgeteilt auf 14 (Jan-Philipp Alhäuser) bis 20 Runden (Pierre Rückert-Hohs) pro Sportler im 6er-MTB-Team der „MANNschaft“. Diese Leistung wird ebenfalls mit einem zweiten Platz in der Gesamtwertung belohnt!
Jan-Philipp Alhäuser kurbelt gleichmäßig hinauf.
Doch aus dem so geschichtsträchtigen Stöffel-Park nimmt man als Beobachter vor allem den Eindruck mit, dass der Spaß und das Gemeinschaftserlebnis bei einem Rennen, zu dem die „MANNschaft“ eine besondere Beziehung hat, das Wichtigste in den zurückliegenden 24 Stunden gewesen zu sein scheint.
Uwe Schmalenbach